Was ist Liebe? Elternschaft, Gleichstellung & moderne Rollen
- Delia Bohren

- 28. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Ich höre sie immer wieder. Diese Geschichten. Von Frauen, die sich gemeinsam mit ihrem Partner für Kinder entscheiden.Und dann – irgendwann, oft schneller als gedacht – ist es vorbei mit der Gleichberechtigung. Nicht, weil jemand das so wollte.

Sondern weil es passiert. Weil Strukturen greifen.Weil Erwartungen wirken.Weil alte Muster leise zurückkommen, wenn das Leben laut wird.
Es ist evidenzbasiert, sagen Studien.Aber ich höre es auch in den Stimmen meiner Freundinnen.In den Pausen zwischen den Sätzen. In den Augen, die müde lachen.Und ich frage mich:Was ist Liebe?
Ist sie ein Vertrag auf Augenhöhe?
Ein tägliches Aushandeln? Ein Raum, in dem beide atmen können?
Oder ist sie manchmal auch ein leises Aufgeben?
Ein Sich-Fügen, weil es einfacher ist?
Ein Kompromiss, der sich nicht mehr wie einer anfühlt?
Ich weiss es nicht. Aber ich weiss: Gleichstellung ist kein Zustand. Sie ist ein Prozess.
Und Liebe auch.
Ich frage mich: Kann es Liebe sein, wenn beide Ärzte sind, aber nur eine Person ihre Karriere aufgibt –nicht aus freien Stücken, sondern weil es „praktisch“ ist?
Kann es Liebe sein, wenn man während der Schwangerschaft verspricht ,mindestens einen Tag pro Woche fürs Kind da zu sein –und kurz vor der Geburt sagt: „Leider noch nicht“?
Kann es Liebe sein, wenn man gemeinsam beschliesst, die Care-Arbeit zu teilen –und dann doch einer 100 % arbeitet, während der andere 100 % trägt?
Ich weiss, Beziehungen sind verschieden.Modelle sind verschieden. Bedürfnisse sind verschieden. Und ja – wenn gut besprochen, finanziell abgesichert und beide plus/minus damit leben können ,ist fast alles möglich.
Aber warum höre ich so oft diese Geschichten? Warum sind es so oft Frauen, die zurückstecken? Warum sind es Männer meiner Generation – nicht die von 1950?
Ich tue mich schwer, darin Liebe zu sehen.Nicht, weil ich nicht an sie glaube. Sondern weil ich glaube, dass Liebe mehr istals ein romantisches Ideal.
Liebe ist Verantwortung.Liebe ist Rücksicht. Liebe ist ein gemeinsames Tragen – nicht ein einseitiges Lasten. Es muss nicht immer 50:50 sein.Aber darf es dauerhaft 90:10 oder 100:0 sein?
Vielleicht mögen manche die Vorstellung von Frau und Familie –aber nicht das, was dahinter steckt.
Vielleicht braucht es neue Geschichten.Geschichten, in denen beide Eltern nachts aufstehen.In denen Care-Arbeit nicht erklärt werden muss.In denen Liebe nicht aufopfernd ist, sondern achtsam.In denen Gleichberechtigung nicht verhandelt wird, sondern gelebt.
Vielleicht beginnt Veränderung nicht in grossen Debatten.Sondern in kleinen Momenten.In einem ehrlichen „Ich kann nicht mehr“.In einem „Ich will, dass wir das anders machen“.In einem „Ich sehe, was du trägst – und ich trage mit“.
Vielleicht ist das Liebe.Oder zumindest ein Anfang.
Und trotzdem ...
Ich liebe und schätze meinen Partner sehr.Er übernimmt. Er trägt. Er reflektiert. Er ist ganz Papa. Und das ist wunderbar.
Doch im selben Moment denke ich: Welche Frau ist das nicht? Welche Mutter bekommt dafür Applaus? Welche Frau wird dafür gefeiert, dass sie trägt, übernimmt, reflektiert?
Und plötzlich schleicht sich ein Gedanke ein,den ich kaum aussprechen mag:
Ist eine durchschnittliche Mutter ein grossartiger Vater?
Das kann nicht fair sein.

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